Kontakt oder kein Kontakt?

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In den meisten Fällen entscheiden Töchter narzisstischer Mütter, nachdem sie von der NPS erfahren haben, den Kontakt zur Mutter zu minimieren oder vollständig abzubrechen. Im letzteren Fall ist mit einer extremen Reaktion der Mutter zu rechnen. Diese kann sich in Wut, Verleumdungen, Rufmord, Drohungen, Mitleid erweckendem Verhalten und sogar Stalking zeigen.

Eine ausgewachsene narzisstische Persönlichkeitsstörung ist im Regelfall nicht heilbar und die Möglichkeit, dass sich die narzisstische Mutter irgendwann einmal ändert, strebt gegen Null.
Nach der Entdeckung der NPS stehen fast alle erwachsenen Kinder von Narzissten vor der Frage, welche Folgen dies auf die weitere Beziehung haben soll. Dass alles so weitergeht, wie bisher, steht meistens außer Frage. Die Entscheidung, die von erwachsenen Töchtern in den meisten Fällen getroffen wird, ist, den Kontakt auf ein Minimum zu reduzieren oder ihn vollständig abzubrechen.

Mütter mit NPS, haben oftmals unbewusst ihr Kind einzig zum dem Zweck geboren, um Bestätigung und narzisstische Zufuhr zu erhalten. Sie haben ihre Tochter oftmals ihr ganzes Leben lang darauf trainiert, die perfekte Quelle für ihre so dringend benötigte Aufmerksamkeit zu sein. Ein einziger Blick, eine kleine Geste oder die geringfügige Änderung der Stimmlage ist meist schon ausreichend, um die Tochter mit Scham und Schuldgefühlen zu füllen und so in Bereitschaft zu bringen, die Mutter mit narzisstischer Zufuhr zu versorgen. Diese Investition der Mutter ist wertvoll. Nicht, weil sie ihr Kind liebt oder sich für es interessiert, sondern, weil sie meist die gefügigste, verlässlichste Quelle für Aufmerksamkeit ist.
Sich darüber bewusst zu sein, ist hilfreich, wenn mit den Reaktionen der Mutter auf geringen Kontakt oder Kontaktabbruch umgegangen werden muss.

 

Geringer Kontakt

Mit geringem Kontakt ist eine deutliche Reduktion des normal üblichen Kontaktes gemeint. Dies könnte sein, dass Telefonate nur ein oder zweimal im Jahre geführt werden und man sich nur zu Familienfesten oder besonderen Ereignissen sieht. Die Mutter spielt in diesem Falle keine große Rolle im eigenen Leben der Tochter und der Kontakt basiert überwiegend auf gesellschaftlich akzeptierteten Normen.
Die Tochter schafft auf diese Weise eine emotionale Distanz und setzt Grenzen. Je nachdem, wie eng der Kontakt vorher war, wird die narzisstische Mutter darauf unterschiedlich stark reagieren. Mehr dazu im Folgenden.

Wenn du dich entscheiden solltest, den Kontakt erheblich zu verringern, ist es wichtig, dass du die Grenzen, die du setzt, selbst einhältst und auch der Mutter nicht die Möglichkeit bietest, sie zu übertreten. Im konkreten Falle heißt das, dass sie nicht unangemeldet vorbei kommen darf bzw. nicht erwarten kann, dass du Zeit für sie hast, wenn das Treffen nicht abgesprochen war. Ruft sie dich häufig hintereinander an, ignoriere die Anrufe und mache ihr klar, dass du nicht rund um die Uhr für sie da sein kannst.
Eine Kontaktminderung kann auch bedeuten, dass zwar die gemeinsam verbrachte Zeit nicht reduziert wird, die Tochter aber eine emotionale Distanz schafft. Gespräche bleiben hierbei auf dem Niveau von Smalltalk, private Informationen werden nicht ausgetauscht und weitergegeben und die Möglichkeit, dass die narzisstische Mutter die Tochter emotional verletzt, vermindert.

Man findet erstaunlicherweise noch immer Hilfestellungen in der Literatur über Narzissmus, in denen geraten wird, in der Kommunikation mit einem Narzissten Emotionen mitzuteilen und Botschaften zu senden wie “Was du sagst, verletzt mich, ich fühle, dass du mich nicht ernst nimmst.” Bei einer ausgewachsenen NPS werden Aussagen wie diese das genaue Gegenteil von dem erreichen, was gewünscht ist (siehe Kommunikation mit Narzissten).

Oft haben Töchter narzisstischer Mütter diese Form von geringem Kontakt bereits intuitiv angewendet, um sich vor verbalem Missbrauch zu schützen.

 

Kein Kontakt

Keinen Kontakt zu den Eltern bzw. zu einem Elternteil zu haben, ist stark stigmabehaftet und eine Entscheidung, die in der Regel nicht leichtfertig getroffen wird. Bedenke jedoch, dass es keine positiven, ungewollten Obligationen gibt. Es ist allein deine Entscheidung, mit wem du in Kontakt stehst und mit wem du dein Leben teilen möchtest. Die Tatsache, dass es sich in diesem Falle um deine Mutter handelt, ändert nichts an diesem Faktum. Du schuldest ihr nichts. Es ist deine Aufgabe, dich um dein Wohlbefinden und deine Gesundheit zu kümmern.

Kein Kontakt bedeutet wörtlich keinerlei Kontakt zur narzisstischen Mutter zu haben. Das beinhaltet: keine Telefonate, Treffen, Kurzmitteilungen, Briefe, Karten, Geschenke und Informationen durch Dritte. Es werden keine klärenden Gespräche mehr geführt, keine wichtigen Ereignisse mitgeteilt und keine “Entschuldigungen” mehr angenommen. (Ein Beispiel für ein solches Entschuldigungsschreiben einer narzisstischen Mutter ist hier zu finden.)
Auf ihre Erklärungen, Entschuldigungen und Manipulation einzugehen, bedeutet fast immer, den Missbrauch fortzusetzen und zu verlängern.

Um sicher zu gehen, dass jeglicher Kontakt unterbunden wird, könnten neben einfachen Schritten, wie den Kontakt zur narzisstischen Mutter auf Plattformen wie Facebook zu löschen, auch Schritte notwendig sein, wie etwa die Rufnummer sperren zu lassen bzw. wenn notwendig, die eigenen Rufnummer zu ändern.

Meiner Erfahrung nach beenden die meisten Frauen den Kontakt zu ihrer narzisstischen Mutter durch das Schreiben einer Email oder eines Briefes. Dabei kann es sich um kurzgefasste Nachrichten handeln, die die Bitte nach Respekt für die Entscheidung enthalten oder aber längere Briefe, in denen Töchter versuchen, ihre Position zu erklären. Wenn du dich dafür entscheidest, einen Brief zu schreiben, kann es hilfreich sein, diesen zu kopieren und vertrauensvollen Menschen in deiner Umgebung zu geben oder zu zeigen. Nicht selten versuchen narzisstische Mütter den Ruf der Tochter zu beschädigen und erfinden Lügenmärchen über die Gründe oder den Inhalt solcher Briefe.

Töchtern narzisstischer Mütter fällt der Schritt, den Kontakt abzubrechen oftmals nicht leicht. Er ist jedoch zumeist befreiend, erlösend und gibt der Tochter Raum und Zeit, sich (manchmal zum ersten Mal in ihrem Leben) mit sich selbst zu beschäftigen und den Heilungsprozess zu beginnen. Der Drang, sich doch noch erklären zu wollen, der Wunsch, dass sie sich ändern wird, versteht was, sie getan hat und sich ehrlich entschuldigt, ist jedoch oftmals übermächtig, und der Umgang damit kann schwierig sein. Es hilft, sich darüber bewusst zu werden, dass die Wahrscheinlichkeit, dass sie sich ändert, so gut wie unmöglich ist und zu diesem Zeitpunkt die Priorität der Tochter sein sollte, sich selbst zu stärken und die Folgen des Missbrauchs zu überwinden. Alles andere ist zweitrangig.

Ein weitere schwieriger Punkt ist häufig die Frage, wie man den Kontaktabbruch den Verwandten, Freunden und Menschen in der Umgebung erklären kann. Da narzisstischer Missbrauch in der Regel unsichtbar und hochgradig schwierig zu erkennen ist, werden viele Menschen mit Unverständnis und Irritation reagieren. Die narzisstische Mutter kann zudem bereits im Vorfeld bzw. im Zuge des Kontaktabbruchs begonnen haben, Rufmord an der Tochter zu betreiben und sie vor der Verwandtschaft oder im Freundeskreis verleumdet haben. Es kann hierbei hilfreich sein, nicht auf das Thema einzugehen und sich Privatsphäre in dieser Angelegenheit zu erbitten bzw. mit kurzen Sätzen zu vermitteln, dass beide Parteien zur Zeit an einem Punkt sind, an dem klärende Gespräche wenig fruchtbar sind.


Die Reaktion der narzisstischen Mutter

Narzisstische Mütter reagieren oft sehr unterschiedich auf den Kontaktabbruch der Tochter, wobei die Reaktion meist extrem ist, unabhängig davon, wie diese aussieht.
Unter Umständen findet keinerlei Reaktion statt, und sie akzeptiert erstaunlich leicht und manchmal kommentarlos den Wunsch der Tochter. Sie ist nicht daran interessiert zu erfahren, was die Veranlassung war oder wie es der Tochter geht. Während es schockierend und erstaunlich ist, dass die eigene Mutter so leichtfertig darauf reagiert, jeglichen Kontakt zu ihre Tochter zu verlieren, so ist diese Variante die einfachere für die Tochter.

Eine andere Möglichkeit ist, dass die Mutter genau gegenteilig reagiert. Sie ruft an, kommt vorbei, verlangt Erklärungen und manipuliert die Menschen, die sie umgeben, um an Informationen zu kommen oder die Tochter zu überzeugen, den Kontakt wieder aufzunehmen. Sie reagiert mit Wut, Tränen, belächelt die Tochter, macht sie schlecht, unterstellt ihr, psychisch krank zu sein oder kann in extremen Fällen den Arbeitgeber der Tochter oder Kollegen kontaktieren, um es ihr heimzuzahlen.

Im Englischen gibt es den Begriff “Hoovering”, welcher bedeutet, dass sie alles daran setzt, die Tochter zurück in die Beziehung zu manipulieren. Sie könnte dabei Mitleid erweckend wirken, “Notfälle” erfinden oder mit Selbstmord drohen. Im letzten Falle ist es zu empfehlen, sich an Beratungsstellen zu wenden bzw. im akuten Fall einen Krankenwagen zu rufen und sie dies auch wissen zu lassen. Obwohl Narzissten häufig mit Suizid drohen, so nehmen sie sich fast nie wirklich das Leben.
Wenn die narzisstische Mutter wenig Kontakte hat und den Hauptteil ihrer narzisstischen Zufuhr von der Tochter erhält, ist es in einigen Fällen zudem möglich, dass sich ihre Kompensationsmechanismen steigern.

Je nachdem, wie extrem die Mutter reagiert, ist es wichtig, sich zu schützen und unter Umständen sogar ein gerichtliches Kontaktverbot in Anspruch zu nehmen.